Antworten von Manos Tsangaris auf die 10 Fragen des Fragebogens

1. Klang:

 

8) Das Werk klingt ausdifferenziert, entschlossen, kontrastreich. Es stellt sich beim ersten Hören ein Eindruck von Brisanz, sogar Gefährlichkeit her, was wohl an dem ungeheuren Ausschlag des Energiepegels (s. dynamische Spannweite) liegen dürfte. Hierbei wohnt der instrumentalen Behandlung jedoch auch ein gewisser Charakter des Ersticktseins, der Erstickung an. Die o.g. Energie geht niemals frei los, sie wird immer festgehalten, abgestoppt, unterbrochen eben. Daher auch – in einem permanenten Stauungsprozess – der Eindruck des Gefährlichen, Brisanten. Spannend und ausdifferenziert wird das Werk vor allem für den Liebhaber abstrakter Kunst sein, wo bestimmte strukturelle Kategorien wie von selbst greifen: Abstufungen der Dichte, Balancen unterschiedlicher Texturen und wie sie sich auseinander ergeben, z.T. auch entwickeln resp. kontrastieren. Auf diese strukturellen Merkmale werde ich in meiner Aufmerksamkeit umso eher gelenkt, je gezielter bestimmte (durchaus auch denkbare) Elemente und musiksprachliche Aspekte ausgepart sind, beispielsweise “schöne” Harmonien, altmodische Kadenzen usw.

Wieso gebe ich in der möglichen Skala hier nur eine “8”? Weil das ganze kleine Werk mit seinem durchaus herauszuspürenden Anspruch auf Meisterhaftigkeit – und vielleicht auch von daher begründet – mir zu gedrängt erscheint, es hat keinen Platz in und um sich selbst, es ist ihm zu eng (jedenfalls nach meinem Empfinden und in meiner Wahrnehmung).

Und das zeigt sich eben auch in den einzelnen musikalischen Texturen und Ausführungen bis hin zum allerletzten erstickten Tamtam-Schlag. Bei einem Werk oder einer Person, der es zu eng ist, wird sich nicht die volle Blüte ihres Potentials der Meisterlichkeit entfalten. Hier geht es um Atmung, um „in sich Wohnen“, um volles Ausschöpfen, Gelassenheit, keinen Millimeter Energieverlust.

 

 

2. Form:

 

7) Am klarsten zeigt sich mir das Pathos Europas (der europäischen Ergriffenheit, ohne die keine Kunst denkbar zu sein scheint) in diesem entscheidenden freistehenden a’ des Klaviers gegen Ende des Stücks. Schon das Instrument Klavier an sich birgt die Frage Europas (als Möbel) in sich, und hier, als Pausenlöser, als Frage, als Membran, als Zeichen des Distinkten, der Unterscheidung eben schneidet dieser eine Ton die ganze Unruhe und Angespanntheit entzwei – und schafft hiemit eine neue Spannung, die sich der vorherigen hinzu addiert. Das ganze Hin und Her, Auf- und Abgewoge des musikalischen Verlaufs zuvor wird in diesem Moment aufgefangen und gebündelt, indem dieser einfache, schlichte, endlich auch “unbehandelte” Ton, wie es sie heutzutage kaum noch in Meisterwerken zu geben scheint – alles wird gebeutelt, moduliert, zerkratzt, behandelt eben, aber dieser eine Ton schneidet in diese Gepflogenheit und zeigt ein Gesicht, das das Stück dann nur noch auf schnellstem Wege, wenn auch dann wieder mit vielen Worten, zu einem Ende führen kann.

Verbesserungsmöglichkeiten:

Mehr Luft, mehr Klarheit, mehr Atmung, weniger Ersticktes, weniger künstliche Aufregung.

 

 

3. Individualität:

 

6 ) Auch wenn es hier zu krass klingt: Es ist ein gut gelungenes Werk des heutigen Mainstreams. Der Autor ist begabt, vermag einen sehr schönen und differenzierten polyphonen Satz zu schreiben (könnte man jetzt sehr gut belegen allein schon anhand der rhythmisch komplementär angelegten Stellen), aber das Idiom, dieses heutige Idiom der so genannten zeitgenössischen Musik wird perfekt aufgespießt, keinen Millimeter Abweichung. Ästhetisch ohne jeden Zweifel, alles gelungen. Reicht das?

Verbesserungsmöglichkeiten:

Tja, jetzt wirds noch schwieriger. Die grundsätzlichen Fragen scheinen auf. Wieso tun wir das alles. In welchen Musik-sprachlichen Fundus zielen wir, was ist Kritik? Wo braucht es Fragen. Welche Suchbewegung wird vollzogen innerhalb des Werks, beim Autor, in der Rezeption, die den Schaffensprozess mitvollzieht und erst vervollständigt. Wo wäre weniger Meisterhaftigkeit meisterlicher? Brauchen wir noch mehr geformten Schall, noch mehr Musik in der musikalischen Welt. Brauchen wir nicht eher ein etwas schärferes kompositorisches, kritisches Denken?

Ich halte diese Kriterien für sehr relevant.

 

 

4. Aktualität:

 

(x)

Ich lasse hier die Skala lieber offen. (ist 5 – Denn das Werk passt sehr in die Zeit. Und es ist ganz anachronistisch (Neue Musik als Stil) und es passt zu gut und es passt gar nicht.

Verbesserungsmöglichkeiten:

Da gibt es nichts zu verbessern (Punkt fehlt, gegen unendlich)

 

 

5. Visionär:

 

Das Musikstück eröffnet dem Kenner einen Kennergenuss.

Das Konzeptstück ist ziemlich neu angelegt und hat einen schönen Humor.

Ich mache jetzt einen Schwenk.

Brauchen wir den Kennergenuss.

“Ein Leben ohne Möpse ist denkbar, aber sinnlos.” (Loriot)

“Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch von Musik nichts.” (Eisler, was aber die Paraphrase eines Lehrspruchs des Hyppokrates in Hinsicht auf die medizinische Heilkunde sein soll.)

“Musik ist die höchste plastische Kunst.” (Joseph Beuys)

“Freizeit. Die neue Zeit ist von der Zeit befreit. ” (Jochen Gerz)

 

 

6. Relevanz (allgemein):

 

Ich wähle 1 und 10.

Oder 5?

Fühle mich genötigt, in eine Meta-Ebene überzugehen, die die Frage stellt, wo, in welchem geistigem Raum sich das Werk befinden könnte?

In den Tönen, im kompositorischen Denken, das sie bewegt?

Und in diesem Fall weiß ich ja, dass das kompositorische Denken stark von einem soziologisch experimentellen Tatbestand her geprägt ist.

Wo ist das Werk, das meisterhaft gestaltet sein könnte.

Verbesserungsmöglichkeiten:

Nichts.

 

 

7. Relevanz (persönlich):

 

Das hängt sehr vom Rezipienten ab.

Ich betrachte mich jetzt gerade als den idealtypischen Rezipienten.

An der gesamten Aktion gibt es erst mal nichts zu verbessern für mich.

Verbesserungsmöglichkeiten:

Hier greift nicht das Musikstück, hier greift, und das ist ja der Witz, die Frage des Managements, das Konzept, der Schalter innerhalb der sozialen Plastik.

Zum Beispiel diese Befragung hier als möglicher Teil des Gestaltungsprozesses in seiner chronologischen Abstufung.

Da gibt es, finde ich, auch nicht so viel zu verbessern.

(Abgesehen von technischen Fragen, siehe meine Begleitmail.)

Man könnte alles auch ganz anders machen.

Reden wir über Soziologie?

 

 

8. Spezifische Zugehörigkeit:

 

Das Musikstück klingt eher allgemeintauglich.

Das Konzeptstück ist sehr genau dem Anlass und der Aufführungssituation zugepasst.

 

 

9. Flexibilität:

 

Meinen Sie jetzt die Musikmusik oder das Konzept?

Verbesserungsmöglichkeiten:

Nun, man wird das Ganze in dieser Form ja wahrscheinlich nur dieses eine Mal machen können, oder? Sie wollen doch nicht jedesmal neue Versionen komponieren, nicht?

 

 

10. Weitere Kriterien:

 

? (Da arbeiten wir jeden Tag dran.)