Anmerkungen von Robert Jacob

Robert J., einer der zur Beurteilung des Stücks angefragten UnternehmensberaterInnen, hat nicht nur auf unsere vorformulierten Fragen geantwortet, sondern zunächst auch die Art unserer Fragestellung sowie seine Herangehensweise an diese reflektiert und die möglichen Methoden und Strategien, die ihm als Unternehmensberater zur Verfügung stehen, geschildert. Diese Vorbemerkung wollen wir komplett zitieren, bevor danach (s.u.) die Antworten auf die einzelnen Fragen zusammengefasst werden:

 

 

„Zum Ansatz des (Unternehmens)beraters:

 

Das Ziel von Beratern ist ganz allgemein, die Leistung ihres Klienten zu verbessern. Dabei kann es sich um kommerzielle Leistung handeln, muss es aber nicht. Da hier das Zielsystem, wie Graciana schon richtig festgestellt hat, nicht vorgegeben war, habe ich zum einen mein eigenes provisorisches Zielsystem definiert und als sinnvoll unterstellt (s.u.)

 

Zum anderen rücke ich eher vorgehensbezogene (denn zielbezogene) Aspekte des Unternehmensberaters in den Mittelpunkt und versuche, in meinen „Empfehlungen“ diese auf Musik zu übertragen. Diese vorgehensbezogenen Aspekte der Beraterarbeit sind z.B.:

 

ein sehr strukturiertes Vorgehen bei der Lösung von Problemen (und beim Ableiten von Zielsystemen J -> s.u.)

 

eine empfängerorientierte Kommunikation, die wesentliche Kernbotschaften in den Mittelpunkt rückt und ggf. lieber zu sehr als zu wenig vereinfacht,

 

eine Fokussierung auf wenige bei der Problemlösung besonders relevante Vorschläge („Pareto-Prinzip“)

 

 

Bezogen auf das Stück heißt das u.a.:

 

weniger ist mehr – eher weniger Klänge und Ideen auskosten als übereinander schichten und schnell abwechseln

 

ab und zu klarere und intuitiver erkennbare musikalische Formen (in Maßen zumindest, langweilig sollte es natürlich auch nicht klingen)

 

PS: Ob man bei Musik ein ähnliches Vorgehen wählen kann wie beim Beraten ist natürlich äußerst fraglich. Im Extremfall landet man wahrscheinlich kompositorisch bei Dieter Bohlen. Das ist nicht einmal abwertend gemeint ist, man muss nur wissen, ob man das will. Aber es gibt ja auch Mittelwege…

 

 

Zu für mich relevanten Beurteilungskriterien

 

Generell sollte Musik m.E. das Ziel haben, den Hörer zu berühren. Sie ist gut, wenn sie einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Sie kann das auf unterschiedliche Arten erreichen, z.B. indem sie unterhält oder zur Reflexion anregt. Das ist für mich insbesondere mit dem unmittelbaren Erleben der Musik, also dem Klang, verbunden. Über den unmittelbaren Eindruck hinaus kann es durch einen Bezug zur Außenwelt an (persönlicher oder allgemeiner ästhetischer) Relevanz gewinnen.

 

Ich löse mich insofern von dem Fragebogen, als ich nicht glaube, dass die Optimierung von 9 scheinbar gleichberechtigten Beurteilungskriterien zu einer entsprechenden Verbesserung des Stücks führt. Klang und Relevanz finde ich am wichtigsten, da sie die Wirkung auf den Hörer am stärksten beeinflussen. Einige andere Kriterien wie „Individualität“ oder „visionär“ sehe ich eher als (nicht unabhängige) Unterkriterien, einige Kriterien finde ich insgesamt wenig relevant, für andere wiederum einige fühle ich mich einfach nicht kompetent.

 

Nachhaltige Wirkung auf den Hörer wird u.a. durch a) Ausmaß an Komplexität/erkennbare Struktur und b) Anknüpfung an bestehende Hörerfahrungen beeinflusst.

Ad a) sollte Musik einerseits nicht zu simpel strukturiert sein (dann ist sie langweilig), andererseits nicht zu komplex (sonst findet der Hörer keinen mentalen Halt und wird sich wenig von dem merken, was er gehört hat). Das Verständnis einer komplexen Struktur kann dabei aber beispielsweise durch Programmatik, also Bezügen zur Außenwelt, erleichtert werden.

Ad b) soll Musik neue Hörerlebnisse vermitteln und Hörerfahrungen ermöglichen, aber andererseits auch „intuitives Hören“ ermöglichen, sich also an bekannten Hörmustern orientieren, z.B. melodischen oder harmonischen Strukturen.

 

Wie komplex die Struktur sein darf und wie weit von gängigen Hörerfahrungen abweichen, hängt natürlich von Erfahrung und Anspruch des Publikums ab. Dennoch, ganz grundsätzlich auf den beiden Dimensionen Struktur und Neuheit den „richtigen“ Mittelweg zu finden, macht für mich gute Musik aus.

 

Nach meinem Empfinden ist das Stück strukturell eher komplex und entfernt sich weit von konventionellen harmonischen oder melodischen Mustern. Ich würde auf einer der beiden Dimensionen vereinfachen bzw. „konventionalisieren“.“ (Robert J.)

 

Wie bereits angedeutet, legt Robert in seiner Beurteilung einen besonderen Fokus auf die Klanglichkeit, wobei darunter nicht nur die verwendeten Klänge als solche, quasi „an sich“, verstanden werden, sondern durchaus auch ihr strukturelles Zusammenspiel. Hier kritisiert er insbesondere, dass die Klanglichkeit zwar interessant und abwechslungsreich sei, dass das Stück jedoch über weite Strecken zu komplex und heterogen sei, als dass die einzelnen Elemente ihre Wirkung entfalten könnten:

 

„Es klingt abwechslungsreich in dem Sinne, dass es viele unterschiedliche musikalische Effekte gibt. Es klingt dennoch nicht besonders spannend, weil in diesem Effektreichtum/Klangspektrum keine dem Hörer Halt gebende Ordnung erkennbar ist. Mir fiel es schwer, in den vielen (Klang)Bäumen den (musikalischen) Wald zu erkennen. Gründe dafür sind dass es sehr oft (zu) viele gleichzeitige und divergente Klänge/Effekte gibt und dass jede Idee einer Struktur, die für den Hörer entsteht, schnell wieder in sich zusammenfällt und von neuen Ideen abgelöst wird. Eine solche "Idee einer Struktur" für den Hörer ist aber Voraussetzung, um Spannung im Sinne einer Hörerwartung (Idee von dem, was als nächstes kommen mag) aufzubauen, die dann sowohl bestätigt als auch enttäuscht werden kann.

 

 

Verbesserungsvorschläge:

 

Generell würde ich mehr Struktur und Differenzierung empfehlen, die dem Hörer Orientierung im Stück ermöglicht, z.B. Wiederholungen von Motiven, längere Auf- und Abbauphasen in Dynamik mit (noch) stärkerem Kontrast oder im Ausmaß an Polyphonie.

Z.B.:

 

- das Hinführen zu dem Klavier-A in Takt 42 könnte gewissermaßen zwingender sein. Es wirkt kompositorisch unmotiviert und damit "verschenkt"

 

- ich finde den Anfang sehr gelungen, aber ab ca. Takt 8 verliere ich für mehrere Takte die Orientierung und empfinde die Klangvielfalt als (zu) chaotisch und (zu) wenig assoziativ

 

- ebenso finde ich den Schluss sehr wirkungsvoll und gelungen, aber die Takte ca. 45-50 klingen für mich nach "Orchester beim Einspielen", nach unmotiviertem Durcheinander. Möglicherweise ist das beabsichtigt.“

 

Die Beurteilung des Kriteriums „Individualität“ ist laut Robert stark vom Bezugssystem abhängig. Bezieht man das Stück auf das System der zeitgenössischen Musik, klingt es für Robert nicht besonders individuell. Allerdings gibt er zu bedenken, in diesem Bereich nicht allzu viel Erfahrung zu haben: „Allerdings kenne ich die zeitgenössische Musik zu wenig, um mir hier ein wirklich qualifiziertes Urteil zu erlauben (womit ich als integrer (Unternehmens)berater die Frage eigentlich nicht beantworten dürfte...). Es fällt mir wegen der eben beschriebenen mangelnden Kenntnis der zeitgenössischen Musik schwer, hier Empfehlungen abzugeben.

Eher generell vielleicht: Aspekte, von denen der Komponist meint, dass sie im Vergleich mit anderer Musik etwas besonderes/individuelles sind, sollte er stärker hervorheben oder übertreiben, so dass es der Hörer merkt.“

 

Aus demselben Grund des mangelnden Einblicks in den Fachbereich enthält sich Robert auch der Frage, ob das Stück relevant für den ästhetischen Diskurs sei. Robert findet zwar, dass das Stück durchaus das Kriterium der „Aktualität“ erfüllt und zeitgemäß ist, bezweifelt aber, dass dies ein besonders wichtiges Beurteilungskriterium ist, genauso wie das Kriterium, dass es speziell für das Ensemble und den Uraufführungsanlass komponiert sein sollte.

 

Zur Frage, ob das Stück ihm neue Perspektiven eröffnet habe, merkt Robert an:

„In Form, Polyphonie/Harmonik und Instrumentierung eröffnet das Stück m.E. keine bedeutenden neuen Perspektiven. Allerdings überzeugt der virtuose Einsatz verschiedener Klangerzeugungstechniken auf konventionellen klassischen Instrumenten. Mir eröffnete das gewisse neue Perspektiven (wobei hier sicher eine Live-Performance eindrucksvoller wäre und evtl. zu einer höheren Bewertung führen würde)

 

Verbesserungsmöglichkeiten:

Etwas weniger Polyphonie an der einen oder anderen Stelle und dafür etwas mehr Fokus auf einige der kreativen Klänge, gewissermaßen weniger Verliebtheit in die Satztechnik und mehr Zurschaustellen der Instrumentierung bzw. Klangerzeugung, weniger Geschwätzigkeit, mehr Ausdruck (ich weiß, das ist nicht besonders konkret-operativ, aber so sind sie nunmal, die Berater...).“