Gutachten von Claus-Steffen Mahnkopf zu masterpiece management 2014

Claus-Steffen Mahnkopf hat einen Text zum Projekt masterpiece management geschrieben, den wir hier in voller Länge zitieren:

 

Anmerkungen zu “masterpiece management” von Tobias Schick

 

Bei diesem Projekt muß man zu allererst die Probleme benennen.

 

1. Das vorliegende Stück ist meta-konzeptuell. Es ist zunächst nicht konzeptuell, es ist musikalisch immanent und wird auf diese Weise zu beurteilen sein. Auf der anderen Seite ist es auf Verbesserung durch Externe angelegt und insofern nicht “fertig”, worin seine Konzeption liegt.

 

2. Ich befinde mich in einem Dilemma. Soll ich nicht nur beurteilen, sondern auch Verbesserungsvorschläge unterbreiten, dann verhielte ich mich wie ein Kompositionsprofessor oder jemand, der einen Meisterkurs gibt. Auf der anderer Seite ist Schick ein ausgewachsener Komponist und somit ein jüngerer Kollege.

 

3. Der Fragebogen ist für mich eine Parodie auf die Managementwissenschaft und die quantitative Sozialforschung. Es werden Fragen gestellt, die entweder trivial sind – es ist immer gut, wenn Stücke gut klingen, formal stimmen, interessant und zeitgemäß sind – oder suggestiv. Sie verfehlen in ihrer abstrakten Allgemeinheit die Besonderheit des Werks. Ich gehe daher auf den (m. E. unsinnigen) Fragebogen nicht ein.

 

4. Ich muß den Grund nennen, warum ich bei diesem Projekt mitmache. Es freut mich, daß die Frage nach dem Was und der Qualität der Musik gestellt, ja öffentlich gemacht wird. Eine solche “Kritik” (im fundamentalen, ja Kantischen Sinne) findet nämlich so gut wie nie statt; es fehlt eine autonome, professionelle Musikkritik, die Kommunikation der Beteiligten untereinander beschränkt sich meist auf den Austausch von Nettigkeiten oder Garstigkeiten, die Mehrzahl der Künstler arbeiten in der Einsamkeit. Insofern begrüße ich dieses Projekt.

 

 

Nun zum vorliegenden Werk.

 

Der Titel sagt nichts über Form, Idee oder Poetik des Werks. Einziger Hinweis ist, daß das Ensemble, für das es geschrieben ist, jung und hipp sei. Darf es nicht von einem schon länger bestehenden Klangkörper aufgeführt werden? Und was heißt “hipp”? Meines Erachtens sagt das nichts und bezieht sich auch nicht auf das Klangbild dieser Komposition. Ich würde diese Besetzungsangabe also ändern.

Grundlage der Beurteilung sind daher nur die Partitur und die Aufnahme. Zur Methode, dieses Stück zu beurteilen: Jeder mögliche analytische Zugang – Form, Stil, Klang, Dauer, Konzept – kann nur ein Beginn einer Gesamtperspektive sein. Fragen in diese Richtungen können nur beantwortet werden, wenn das Werk als Ganzes verstanden wird. Dieser Verstehensprozeß ist konzentrisch. Man beginnt an einer beliebigen Stelle und arbeitet sich ein.

Meine erste Beobachtung war der Beginn. Ein Ton mit Klangfarbenwechsel. Das ist zunächst unkreativ, weil bereist tausendfach verwendet. Andererseits wird dieser musikalische Gedanke im Stück durchgehalten, da immer wieder Zentral- und Liegetöne durchscheinen. Auch folgt auf diesen Ein-Ton-Beginn ein Kontrast. Trotzdem könnten man den Anfang raffinierter, inspirierter gestalten. Und auch die Liegetöne später (Klarinette und Trompete) könnten etwas mehr variiert werden.

 

Zweite Beobachtung: Kürze. 3,5 Minuten, ergibt eine Miniaturform ohne große Binnenentwicklungen. Im Prinzip besteht das Stück aus einer kurzen Introduktion, einem Hauptgeschehen in zwei Schüben, einem Haltepunkt und einer Stretta mit richtigen Ultima-Akkorden. Da die Musik reichhaltig, lebendig, stilfest ist, wünscht man sich ein längeres Stück. Warum diese Länge? Ist sie der Meta-Konzeption geschuldet? Die auffahrenden Trompetenlinien verlangen nach Mehr, sie entladen sich dann in die Schlußakkorde, die wirken aber auch als ein formaler Auftakt zu etwas Darauffolgendem, was ausgearbeitet werden könnte. Andererseits hat Schick den Schluß so gestaltet, daß er auch für sich stehen kann, sozusagen als offener Schluß.

 

Dritte Beobachtung: Der Klang bemüht sich um Modernität: Mehrklänge, Trompeten-split-Töne, Geräusche, Kratzen, präpariertes Klavier etc.; teilweise Gestus des Rotzigen. Ob man das will, ist natürlich Geschmackssache, paßt aber zum Stück; vielleicht könnte man den Klang ab T 5 etwas feiner ausarbeiten.

 

Vierte Beobachtung: zu Energie und Rhythmik. Das Stück ist energiegeladen, aktiv, häufig rhythmisch, besitzt eine gute Energiekurve, ist insofern einigermaßen organisch, es ist stilistisch einheitlich insofern, als Stilbrüche und Fremdmaterialien fehlen. Hier wüßte ich nichts zu ändern.

 

Fünfte Beobachtung: Warum eine Quinte in T 31? Kann man hier nicht einen etwas weniger auffälligen und “banalen” vertikalen Klang einsetzen? Weitere Frage: Letzter Takt, hohes Tamtam, warum so laut? Ist meines Erachtens zu plakativ. Gerade der Schluß eines Stücks sollte immer so raffiniert wie möglich sein. Das retardierende Moment (T 43 ff.) finde ich schwach. Es könnte der magische Augenblick werden, das geheime Zentrum dieses Ministücks. Aber Lufttöne in der (tiefen) Trompete? Es müßte doch etwas Besseres geben.

 

Tobias Schick hat nicht wirklich etwas falsch gemacht. Handwerk hat er. (Was logisch ist, hätte er es nicht, wäre er seiner unsicher und er hätte sich diesem öffentlichen Verfahren nicht ausgesetzt, auch für ihn ist dieses Projekt eine Metakomposition.) Trotzdem erlaube ich mir eine abschließende Kritik, auch wenn sie wohlfeil ist. Das Stück klingt nach “neuer Musik”. Nicht, daß ich Reaktionäres oder Postmodernes erwartete, aber ich wünschte mir doch etwas, was über “neue Musik” hinausgeht. Freilich ist das wohlfeil, weil ich damit dem Komponisten Schick Genialität ansinne, und das ist unfair.

 

 

Freiburg, 17. Februar 2014